VON MARTIN JEDICKE

Lyambiko und Jacob Karlzon beim Jazztival im Lalu

HAMELN. „Jazztival“ ist die Verkürzung von „Jazz-Festival“ und somit in der Beschränkung auf zwei Acts konsequent. Frei nach dem Werbemotto „Nimm zwei“ präsentiert das Lalu am Freitag zwei äußerst wohlschmeckende Bonbons. Den Abend beginnt die Thüringerin Sandy Müller, die Jazzfans als Lyambiko kennen. Die meisten Songs stammen von ihrem aktuellen Album „Muse“, auf dem sie von Frauen komponierte Lieder präsentiert. Julia Hülsmanns Vertonung des Emily-Dickinson-Gedichts „I Went to Heaven“ klingt wie ein moderner Klassiker in der Tradition alter Gershwin-Perlen, von denen Lyambiko auf „‘S Wonderful“ zurückgreift. Tilman Persons Besenschlagzeug, Marque Lowenthals geschmackvoll perlendes Klavier, Robin Draganics swingender Kontrabass – Wohlklang wie auch bei der Zugabe, Abbey Lincolns „And How I Hoped For Your Love“, das knapp am Barjazz vorbeischrammt, weil Draganic einen herrlich melodischen Bass spielt und das Piano kleine Ausbrüche aus der Gefälligkeit wagt.

Und selbst dem ausgelutschten „Bésame Mucho“ weiß Lyambiko durch ihre Stimmmodulation eine Coverberechtigung zu geben. Lyambiko ignoriert Stilgrenzen, baut lateinamerikanische Rhythmen ein, rockt fast in „Don’t Let Me Be Misunderstood“ und greift auf Popsongs zurück. Fleetwood Macs „Landslide“ überzeugt allerdings erst, als Lowenthal am Flügel das Tempo anzieht. Grandios Erykah Badus „On and On“. Kein Jazz sei dies, meint Lyambiko, doch gerade die vertrackten Rhythmen, die fließenden Grenzen zu Hiphop und Soul zeigen doch, wie offen Musik, also auch der Jazz, heute ist. Lyambikos Auftritt ist ein Plädoyer für Livemusik: Hier gerät vieles weniger glatt als auf Tonträger. Auf der Bühne wird gescattet und (auch auf Portugiesisch) gefühlvoll phrasiert, da schnattert lautmalend Federvieh. Zweites Bonbon: Jacob Karlzon, einer der spannendsten Jazz-Pianisten unserer Tage. Inspiriert von Beobachtungen und Erfahrungen, ob Flüchtlingsdrama oder das Bilden einer Rettungsgasse, entstehen Kompositionen, die auf gesampelten Soundscapes und dezent eingesetzten elektronischen Keyboardflächen zu Tastenexkursionen abheben, die immer die Melodie im Blick behalten.

Das Karlzon-Trio weiß aber auch das Jazz-Rock-„Monster“ von der Kette zu lassen. Kurz vor Halloween haut Robert Mehmet Ikiz kräftig in die Felle, wenngleich er sich sonst als variantenreicher, feinfühliger Schlagzeuger und Percussionist zeigt. „Ultra Light“ beginnt mit einem Marschrhythmus und fast discoartigem Keyboardgeblubber, während das zappelige „Borderline“ frei improvisierendem Jazz am nächsten kommt. Die Zugabe „Inner Hills“ spielt Karlzon, der sonst einen kräftigeren Anschlag pflegt, zart, Bass und Klavier umtanzen einander, dazu ein tastendes Besenschlagzeug.

Als Dank überreicht Hefehof-Chef Jobst-Walter Dietz Lyambiko eine weibliche und Karlzon eine männliche Jazzratte.

Dewezet 31.10.16