Von Wolfhard F. Truchseß. Hameln.

Beifall rauscht auf, wenn sich Josephine zur Decke streckt – und das nur auf einem Arm „stehend“. Beim Weihnachts-Varieté in der Traumfabrik „Lalu“ ist Akrobatik Trumpf. Akrobatik, die Josephine erst auf einer Schule für Ballett und Artistik in Berlin und danach auf der staatlichen Artistenschule in der ukrainischen Hauptstadt Kiew gelernt und verfeinert hat. Für Josephine stand sehr früh fest: „Ich will auf die Bühne, ich will die Menschen unterhalten!“ Kein Wunder – die junge blonde Dame stammt aus einer Artistenfamilie und hat ihr Herz an die Equilibristik verloren, wie sie selbst sagt. Seit vier Jahren ist sie mit Handständen und HulaHoop-Reifen unterwegs. „Doch, ich kann gut davon leben“, erzählt sie in einer Pause, „vor allem, wenn es mal ein halbes Jahr auf einem Kreuzfahrtschiff durch die halbe Welt geht. Das ist dann wie bezahlter Urlaub, auch wenn die schwierig auszubalancierenden Handstände natürlich bei jedem Wellengang vorgeführt werden müssen.“

Wie in den vergangenen Jahren, ist das „Lalu“ bei dem inzwischen schon traditionellen Weihnachts-Varieté wieder bis auf den letzten Platz gefüllt. Durch das Programm führt Helge Thun, dessen Metier einst weltmeisterliche Zauberei war, der sich jetzt aber mehr der erheiternden Wortakrobatik widmet und es schafft, „Romeo und Julia“ mit allen dramatischen Szenen in nur drei Minuten beifallumrauscht auf die Bühne zu bringen. Mit seinem Charme fängt Thun die Zuschauer vom ersten Augenblick an ein und hat die Lacher immer auf seiner Seite, egal, ob beim „Erlkönig“ auf Schwäbisch oder blitzartig kombinierten Balladen von Schiller. Und dass ein Liebesgedicht den Titel „Sommerreifen“ tragen kann, hätte bis zu diesem Abend kaum jemand im Publikum für möglich gehalten. Aber Helge Thun beweist auch das: „Die Liebe muss im Sommer reifen“ endet der von ihm erdachte Achtzeiler.

Ist beim Autofahren das Hupen nur erlaubt, um andere Verkehrsteilnehmer zu warnen, hat der Deutsch-Engländer Freddy Anthony aus den lautstarken Geräten ein Konzert-Instrument mit 30 verschiedenartig tönenden Tröten entwickelt. Unglaublich, dass er darauf in atemberaubendem Tempo sogar Bach oder Mozart zelebriert, bekannte Lieder intoniert oder mit Kalinka und dem Kasatschok das Publikum zur Raserei bringt – fabelhaft, was er mit seinem Hupkonzert auch an rockigen Klangkulissen auf die Bühne zaubert. Das Kunstradfahren gilt manchen Varieté-Besuchern eher als eine langweilige Angelegenheit. Nicht so bei Jens Schmitt, der zu den Tönen einer Radioreportage die Tour de France pantomimisch auf dem Fahrrad imitiert, Pirouetten auf dem Hinterrad dreht oder mit hängender Zunge die steilsten Berge in den Alpen bezwingt. Höhepunkt dieser artistischen Pantomime ist der eigenhändige Wechsel des Vorderrades mit einem Schraubenschlüssel, ohne dabei vom Kunstrad zu steigen. Das macht Schmitt so leicht keiner nach.

 Ähnlich wie Helge Thun arbeitet auch der Schnellzeichner Stefan Wirkus mit Wortakrobatik: Die Zuschauer müssen bei ihm den Begriff erraten, den er mit flotten Strichen und Schwüngen auf sein Papier zeichnet. Und wer als Erster den Begriff errät, der erhält das von Wirkus gezeichnete Original. Klar, dass es beim Raten fröhlich zugeht und Wirkus sein Publikum auch mal aufs Glatteis führt. Höhepunkt des Abends ist zweifellos die Partnerakrobatik von Nik & Valentina. Geschmeidig werden die Szenen entwickelt, schlängelt sich Valentina von oben nach unten um den Körper ihres Partners und lässt sich mit atemberaubenden Hebefiguren im wahrsten Sinne des Wortes auf Händen tragen. Das ist mit den ineinanderfließenden Bewegungen, der fast lyrischen Darbietung und der absoluten Körperbeherrschung der beiden Akteure Akrobatik vom Allerfeinsten, die das Publikum in dem bereits zum sechsten Mal von Dewezet und Hefehof veranstalteten Weihnachts-Varieté immer wieder begeistert mit Beifall begleitet. Die Künstler hatten sich den Applaus verdient.
Dewezet 03.12.10